Arbeit hilft gegen das Chaos im Kopf
Egal ob Großraumbüro oder Teamarbeit: Wenn viel auf Mitarbeiter einströmt, sorgt ein Filter im Gehirn für Konzentration. Julia Sommer ist Autistin, ihr fehlt dieser Filter. Doch sie setzt ihre Fähigkeiten sehr erfolgreich in einer Großküche ein.
Neckargemünd, 23. Januar 2013
Gesprächsfetzen fliegen durch den Raum, Gläser klirren, Musik wummert und jemand lacht schallend: Was nach einer guten Party klingt, ist für Julia Sommer kaum erträglich. Sie hört keinen beruhigenden Geräuschteppich, sondern alles einzeln, völlig ungefiltert. Julia ist Autistin. Für sie steckt die Welt voller verwirrender Details.
Aber sich deshalb zurückzuziehen ist nicht ihr Ding: Seit drei Jahren arbeitet die 20-Jährige in der Küche des SRH Bildungszentrums Neckargemünd. Zwischen Küchenhektik und Essensausgabe kommt sie so gut zurecht, dass sie seit 15. Dezember fest angestellt ist. Das ist nicht selbstverständlich: Etwa 100.000 Autisten leben in Deutschland. Julia Sommer ist im Rhein-Neckar-Kreis die einzige mit einem Job auf dem ersten Arbeitsmarkt.
Für Autisten ist der Arbeitsalltag eine besondere Herausforderung: Zur Flut an Reizen kommt das unverständliche Verhalten der Kollegen. „Autisten können sich nicht in andere hineinversetzen. Deshalb
fällt es ihnen schwer, anhand von Gesichtsausdrücken oder Stimmen Emotionen zu erkennen“, sagt Roswita Lechtenberg. Die Sozialarbeiterin vom Luise-Scheppler-Heim unterstützt Julia bei der Arbeit. „Ich helfe bei der Kommunikation mit Kollegen und der Organisation der Aufgaben. Neue Arbeitsabläufe üben wir gemeinsam.“
Während Nicht-Autisten aus ihrer Umwelt intuitiv das für sich Wichtige herausfiltern, muss Julia alles in kleinen Schritten ordnen. Die Bedeutung von Gesten und Gesichtsausdrücken lernte sie mühsam auswendig: „Ich weiß jetzt, dass ich meinen Chef nicht anspreche, wenn er gerade im Gespräch ist oder telefoniert. Zu erkennen, ob jemand im Stress ist, finde ich immer noch schwierig.“ Ebenso schwer fällt es ihr, ihre eigenen Gefühle zu zeigen. Dank Roswita Lechtenberg wissen die Kollegen inzwischen, dass Julia ab und zu eine Pause braucht, wenn Ihr die Reizüberflutung zu viel wird.
Ihre Begeisterung für die Küche entdeckte die junge Frau über eine Berufsvorbereitung nach der Schule. Im Praktikum überzeugte sie die SRH in Neckargemünd von ihrem Können. Zusammen mit dem Integrationsfachdienst und dem Rhein-Neckar-Kreis richtete das Unternehmen anschließend eine Stelle ein. Bedenken, die Arbeit in einer Großküche sei für eine Autistin zu stressig, zerstreute Julia schnell: Über 1.000 Mahlzeiten produziert die Kantine jeden Tag. Julia mischt Salatsaucen, paniert Schnitzel und richtet Essen an. Dabei kommen ihr ihre Genauigkeit und ihr gutes Gedächtnis für Abläufe zugute. „Julias Salatsaucen schmecken immer prima, weil sie sich die Zusammensetzungen exakt merkt und die Rezepte dadurch besonders genau einhält“, sagt Cateringleiter Hermann Müller.
Julias großes Ziel ist es, ihren Alltag völlig selbständig zu bewältigen. Auf der Arbeit hat sie dafür schon viel gelernt, das bestätigt auch ihr Chef. „Sie sucht selbst das Gespräch mit Kollegen und beschreibt, wie es ihr geht. Das sind enorme Fortschritte“, sagt Müller. Der beste Beweis ist, wenn Julia lächelt und sagt „Mir gefällt es hier sehr gut.“