Das Arbeitszeugnis und die Macht der Noten
Wer sich beruflich neuorientieren möchte oder eine berufliche Karriere anstrebt, muss wissen, wie wichtig ein Arbeitszeugnis für den weiteren Verlauf im Berufsleben ist.Das Arbeitszeugnis ist für Personalentscheider die Visitenkarte, gleichsam ein Türöffner oder – wenn der Beurteilte ein schlechtes Feedback bekommt – ein Riegel. Ebenso fungiert ein Arbeitszeugnis als Leumund.
Bereits die Gesetzgebung dokumentiert die Relevanz von Arbeitszeugnissen durch entsprechende Rechte und Pflichten. Dabei unterscheidet man zwischen einem einfachen und einem qualifiziertem Arbeitszeugnis. Zusätzlich gibt es Zwischenzeugnisse und Ausbildungszeugnisse. Während das einfache Arbeitszeugnis eher ein Arbeitsnachweis mit Information über Art und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses darstellt, enthält ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zusätzlich eine Beurteilung der Arbeitsleistung und des Verhaltens während des Arbeitsverhältnisses. Es ist leicht erkennbar, dass diese Beurteilung für zukünftige Arbeitgeber besonders interessant ist.
Spätestens dann, wenn der Arbeitnehmer aus dem Unternehmen ausscheidet, stellt sich – sowohl für den Arbeitnehmer, als auch den zukünftigen Arbeitgeber – die Frage: Wie wird die Leistung und das Verhalten des Arbeitnehmers bewertet? War der Einsatz ein Erfolg oder eher ein Misserfolg? Stehen wohlwollende Aussagen im Zeugnis oder steckt ggf. mehr dahinter? Wie war das Verhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Arbeitgeber, wie das Verhalten im Team oder gegenüber Kunden?
Was passiert, wenn ein Arbeitszeugnis ungünstige Formulierungen enthält?
Andreas Köhler, Karriereberater und Gründer der Agentur ib-die image berater- in Solingen - einem Beratungsunternehmen, das unter anderem für Jobsuchende und Karrierestrebende tätig ist, kennt dieses Problem nur zu gut. Immerhin verhilft er seinen Mandanten zu neuen Job- und Karriere-Perspektiven und analysiert zuvor, was der Erreichung der unterschiedlichsten beruflichen Ziele im Weg stehen könnte: ein fehlender Bildungsabschluss, Lücken im Lebenslauf, häufige Stellenwechsel oder zu kurze Beschäftigungszeiten. Oft seien das gesamte Bewerbungsverhalten, aber auch eine ungünstige Selbstdarstellung dafür ursächlich. Sehr häufig sind es auch die Arbeitszeugnisse, die ein kritisches Bild vermitteln, dem Karriereweg im Weg stehen oder zumindest nicht zur Karriere verhelfen.
„Arbeitszeugnisse haben in Deutschland eine immense Bedeutung für die berufliche Entwicklung. Sie stellen wichtige Weichen für die Karriere und das Fortkommen in der Arbeitswelt und damit im Arbeitsleben“, erklärt Andreas Köhler und fügt hinzu: „Andernfalls können allein ein einzelnes oder ein fehlendes Zeugnis das weitere Vorankommen im Berufsleben erschweren. Flüchtig geschriebene oder falsch formulierte Zeugnisse können die berufliche Entwicklung zudem ebenso negativ beeinflussen“.
„In Deutschland ist das Arbeitszeugnis für eine Bewerbung essenziell und für den weiteren Verlauf im Arbeitsleben entscheidend“, sagt Karl Bosshard, Partner bei der Managementberatung Kienbaum. Daher sollte ein Zeugnis auch geprüft werden. Nur von wem? „Viele sind mit der Zeugnissprache, die geheime Codierungen enthalten kann, vertraut. Andere wiederum verstehen oder interpretieren den Inhalt falsch.“, weiß Andreas Köhler zu berichten. Die Kerninhalte und Aussagen im Arbeitszeugnis seien oft bewusst kryptisch und nur für Eingeweihte lesbar. Das bedeutet, dass viele Formulierungen nicht wörtlich zu verstehen sind, sondern eine ganz spezielle – ja versteckte – Bedeutung haben. Derartige Formulierungen gebe es, laut Andreas Köhler oft auch bei Bewerbungen z.B. wenn von angeblicher Überqualifizierung die Rede ist. Nicht immer würde das ausgesprochen, was eigentlich gemeint ist. Dafür sei u.a. die Gesetzeslage verantwortlich. Schließlich soll sich niemand diskriminiert fühlen.
Die meisten Negativbeurteilungen basieren aber, so Köhler, nicht auf derartigen Codes, sondern auf sprachlich ungünstigen, schnell formulierten Formulierungen und Textbausteinen. „Tatsächlich sind manche Aussagen, die negativ wirken, vom Arbeitgeber gar nicht so gemeint. Der Zeugnisaussteller hat lediglich ungünstig formuliert und sich einfach zu wenig Mühe gegeben“, sagt Köhler und fügt hinzu: „Immerhin ist nicht jeder Zeugnis-Schreiber zugleich ein guter Schriftsteller.“ Tatsächlich sollte hinterfragt werden, wer eigentlich ein Zeugnis schreibt. „Selten ein Profi“, meint Köhler. Aus seiner Erfahrung weiß er, dass das dies ziemlich oft zu Irritationen und Missverständnissen, meist zu Ungunsten des Bewerbers, aber auch zu Ungunsten von Arbeitgebern führt. Köhler: „Es spielt keine Rolle, wie etwas eigentlich gemeint ist. Davon hat der Arbeitnehmer recht wenig. Was zählt, ist das, was auf dem Papier steht und wie es gedeutet wird.“
Zeugnisse prüfen und analysieren
Andreas Köhler von ib -die image berater- rät dazu, Arbeitszeugnisse prüfen zu lassen und, falls zweckmäßig oder notwendig, unverzüglich zu reklamieren, wobei die Berichtigungswünsche und Verbesserungsvorschläge auch logisch und folgerichtig begründet werden
Es gibt aber immer mehr Menschen, die Dinge hinterfragen und ihr Berufsleben weniger reinem Glück und Zufall überlassen. Andreas Köhler kennt diese Menschen, denn sie kommen zu ihm, wenn sie Karriere machen wollen, wenn sie öfters Absagen auf Bewerbungen erhalten, ein Arbeitszeugnis nicht oder falsch oder ungünstig ausgestellt wurde, wenn wichtige Referenzen fehlen. Köhler kümmert sich darum und geht daher auf jede betroffene Person und Situation individuell ein. Nicht aus der Sicht eines Anwaltes, der lediglich juristisch Vertretbares sucht und dann angeht, sondern aus der Sicht eines Personalentscheiders, der zugleich Imageberater und Kommunikationsprofi ist. Köhlers Firma ist nicht nur ein Karriereunternehmen, sondern auch eine Agentur für angewandte Wahrnehmungs- und Kommunikationspsychologie. Und diese Agentur nimmt das Thema Kommunikation schon sehr genau, auch wie die entsprechende Kommunikation von anderen wahrgenommen wird. Als Psycholinguist kann Köhler zwischen den Zeilen lesen und hinterfragt jede Aussage, jedes Wort, jede Formulierung aus der Sicht potentieller Leser und Personalentscheider.
Bereits Überschrift und Einleitung eines Arbeitszeugnisses können, so Köhler, eine Rolle spielen. Wichtig sei auch die Informationen über Art und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses, die konkrete Bezeichnung der beruflichen Tätigkeit und die Darstellung der entsprechenden Wertigkeit. Die allgemeine und detaillierte Beschreibung der beruflichen Tätigkeit dürfe nicht vernachlässigt werden. Immerhin sei dies ein wichtiger Nachweis über fachliche Erfahrungen. Interessant sei auch die Entwicklung des Arbeitnehmers im Betrieb z.B. der innerbetriebliche Werdegang inklusive entsprechender Kompetenzen und Verantwortungen. Dazu gehören auch eventuelle Projektarbeiten. Wichtig ist auch, wie und wie schnell sich der Mitarbeiter in sein Aufgabengebiet eingearbeitet hat. Und dann ist da noch die konkrete Beurteilung: Von Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit über Eigeninitiative, Fachkönnen und Fachwissen bis hin zur Auffassungsgabe. Arbeitsstil, Arbeitsweise, Arbeitsergebnisse und Arbeitserfolge sind ebenso interessant wie die Darstellung und konkrete Formulierung der Zufriedenheitsskala, das Sozialverhalten und die Führungsbeurteilung. Das würde laut Andreas Köhler sehr oft vergessen. Fehlen Informationen, müsse man sich Gedanken machen, warum. Würden in einem Arbeitszeugnis Aspekte angesprochen, die nicht in direktem Zusammenhang mit der Stelle stehen oder gar selbstverständlich sind, wäre das ebenfalls auffällig. Wichtig seien auch die Wertung in der Einleitung sowie die Abschlussformulierung. Dies umfasse die Aussage zur Beendigung sowie die Dankes- und Zukunftswunsch-Formel.
Köhler untersucht die Verwendung bestimmter Floskeln und Abweichungen, Aktiv- und Passiv-Formulierungen, adverbiale Bestimmungen, Kausalaussagen, die konkrete Wortwahl, Strukturierung und Aufbau. Interessant ist auch, ob ein Zeugnis sachlich oder enthusiastisch bzw. glaubwürdig oder übertrieben formuliert ist. Köhler: „Der Mix macht´s!“ Dem pflichtet auch Rechtsanwalt Uwe Scherf aus Solingen bei: „Legen Sie jedes Wort des Zeugnisses, eigentlich auch jedes Komma und jeden Zwischenraum, auf die Goldwaage. Oft steckt der Teufel so tief im Detail, dass nur ein versierter Fachmann – und dazu gehören sicher die Personalentscheider – mehr erkennen, als es der Beurteilte vermutet.“ Versierte und erfahrene Rechtsanwälte wie Uwe Scherf wissen, wie wichtig es ist, sich mit Details zu befassen. Selbst kleine Details entscheiden über Erfolg oder Misserfolg.
Andreas Köhler deckt versteckte Botschaften in Zeugnissen auf und liest zwischen den Zeilen. Er interpretiert aus Sicht von potentiellen Arbeitgebern und hinterfragt, ob die Kernaussagen im Arbeitszeugnis bewusst oder unbewusst, absichtlich oder versehentlich getroffen wurde. Köhler nimmt sich für jedes Arbeitszeugnis seines Mandanten persönlich viel Zeit. Er sieht sich nicht nur als Berater, sondern vielmehr als jemand der Wahrheit und Gerechtigkeit sucht, Interessen von Menschen vertritt und sich persönlich dafür einsetzt. Ganz nach dem Motto:„ Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“
Und dieser Weg wird auch in Sachen Zeugnis gesucht: Das ib -die image berater- Team kontaktiert frühere Arbeitgeber, fragt nach, wie bestimmte Formulierungen wirklich gemeint waren, klärt Zeugnisaussteller über mögliche Wahrnehmungs- und Kommunikationsfehler auf und überzeugt den jeweiligen Arbeitgeber von der Notwendigkeit einer Neuschrift oder Änderung, notfalls zusammen mit einem Anwalt. Köhler empfiehlt aber, sich am besten bereits vorher darum zu kümmern, z.B. einen Zeugnis-Vorschlag zu unterbreiten, bestimmte Wünsche zu äußern, das Zeugnis abzustimmen, dass es erst gar nicht zu späteren Fehlinterpretationen kommt. Im Auftrag von Arbeitgeber oder von Arbeitnehmer schreibt Köhler passgenaue Zeugnisse vor. Dies basiert auf einem beruflichen Profiling, anhand konkreter Tätigkeits- und Leistungsprofile und anhand sonstiger Informationen über Verhalten oder besondere Stärken und Leistungen.
Natürlich gebe es auch Programme – und viele Firmen würden leider mit so etwas arbeiten, wenn Zeugnisse geschrieben werden. Davon sei aber tunlichst abzuraten, weil gerade hier eine starke Fehlerquelle liegt und die Individualität und Authentizität verloren geht. Und genau darum ginge es. Köhler gibt sich Mühe: Mehrere Seiten sind bei einem guten und aussagekräftigen Zeugnis keine Seltenheit. „Allein in Umfang und Mühe, die man aufwendet, drückt sich die Wertschätzung dem ehemaligen Mitarbeiter gegenüber aus.“, merkt Köhler an. Das sage nicht nur etwas über den Arbeitnehmer, sondern sehr viel über den Arbeitgeber selbst und seine Unternehmensphilosophie aus. Nicht jedes Unternehmen stelle sich hier positiv dar, erklärt Köhler.
Zur Vorsicht rät Rechtsanwalt Uwe Scherf, wenn der Arbeitgeber anbietet, der Arbeitnehmer dürfe sein Zeugnis selbst schreiben, er werde alles unterschreiben. Ein einziger Entwurf in der Vita eines Arbeitnehmers ist akzeptabel, wenn aber zwei oder mehr Zeugnisse mit gleichem Zungenschlag später vorgelegt werden, ist für Personalentscheider wegen der gleichen Diktion im Zeugnis leicht erkennbar, dass der Autor immer dieselbe Person ist. Trotzdem ist der Vorschlag, sein Zeugnis vorzuschreiben gut, man müsse das aber einen Profi machen lassen, so Andreas Köhler. Dieser müsse zumindest drüber schauen und zwar aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln: Optisch, inhaltlich, stilistisch, wertungstechnisch usw.
Was ist, wenn ein Zeugnis nicht ausgestellt oder gar verweigert wird?
Es gibt klare Rechte z.B. einen Zeugnisberichtigungsanspruch. Dieser bezieht sich auf formale und rechtliche Anforderungen, nicht aber auf wahrnehmungs- und kommunikationspsychologische karrierefördernde Details. Zudem hat der Arbeitgeber einen Beurteilungsspielraum, der nur beschränkt nachprüfbar ist. Köhler rät zu Kommunikation. Vor Mandatierung eines arbeitsrechtlich versierten Anwaltes sollte aber erst einmal auf partnerschaftlichem Wege der entsprechende Wunsch nach einem neuen oder besseren Zeugnis kommuniziert werden und etwaige Missverständnisse geklärt werden. Nachfragen, beantragen, nachhaken, schreiben, vorschreiben, reklamieren…Köhler rät seinen Mandanten, den Arbeitgeber persönlich auf das Arbeitszeugnis anzusprechen und konkrete Mankos, mögliche Missverständnisse oder Unstimmigkeiten markiert herauszustellen und die Gründe konkret zu benennen.
Sollte dies für den Betreffenden Arbeitnehmer unangenehm sein oder sollte der Zeugnisaussteller das Anliegen boykottieren, setzt sich Köhler mit dem betreffenden Arbeitgeber in Verbindung. Köhler argumentiert als Mensch und aus der Sicht eines Karriere- und Kommunikationsberaters. Sofern Köhler einmal nicht mit Argumenten weiterkommen muss, kann notfalls ein arbeitsrechtlich versierter Anwalt aus dem Netzwerk von ib helfen und juristischen Druck machen. Dann aber richtig und ggf. mit Köhler als Zeugen. „Arbeitnehmer dürfen das Zeugnis nicht als unbedeuteten Abschluss eines Arbeitsverhältnisses ansehen. Hier muss um jede Silbe gefochten werden. Anwalt und Mandant müssen die Zähne zeigen“, so Rechtsanwalt Uwe Scherf.
In der Regel, sei es aber vorerst besser, den Arbeitgeber nicht unmittelbar mit einem Anwalt zu konfrontieren und vorab an sein Verständnis, seinen Intellekt und sein Mitgefühl zu appellieren, empfiehlt Köhler. Immerhin gibt es dafür gute Gründe. Schließlich ist das betreffende Arbeitszeugnis für den beruflichen Werdegang entscheidend.
Und der darf nicht verbaut oder behindert werden.
Quellen:
Interview vom 03.04.2013 mit Andreas Köhler Karriereberater und Gründer der Agentur ib -die image berater- Agentur für angewandte Wahrnehmungs- und Kommunikationspsychologie
Interview vom 09.04.2013 mit Herrn Uwe Scherf, Rechtsanwalt, Rechtsjournalist und ehemaliger Geschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer
RP „Beim Arbeitszeugnis auf Nuancen achten“ vom 08.03.2013 - Interview mit Herrn Henn, Präsident des Verbandes deutscher Arbeitsrechtsanwälte
„Was im Arbeitszeugnis zählt“ – Interview mit Karl Bosshard, Partner bei der Managementberatung Kienbaum vom 18.03.2005 / Handelsblatt
„Ein Arbeitszeugnis ist die Visitenkarte eines Bewerbers. Was drinstehen sollte – und was nicht“/ Zeit Online
„Die geheimen Codes in Arbeitszeugnissen“ / Zeit Online